Haben Blinde Angst im Dunkeln

In diesen Tagen wird es schon sehr früh dunkel. Und an Halloween waren sie wieder unterwegs: Die Gruselgestalten, im Schutz der Dunkelheit. Aber hat Dunkelheit eigentlich auch für Blinde etwas bedrohliches? In einem Audiobeitrag erzähle ich außerdem, was mir Licht bedeutet und wie man als Blinder ungewollt Leute erschrecken kann.

Ist es für blinde Menschen nicht immer dunkel? Da müssten sie doch eigentlich vor Achluophobie gefeit sein – so der Fachbegriff für Angst vor Dunkelheit.

Ganz so einfach ist es dann doch nicht. Wer nie etwas gesehen hat, für den ist es nicht automatisch dunkel. Er sieht nicht mal schwarz, sondern überhaupt nicht. Der Sinneseindruck „sehen“ ist einfach nicht vorhanden. Ohne Helligkeit kann es auch keine Dunkelheit geben, weshalb die Frage nach der Bedrohlichkeit von Dunkelheit sich hier nur schwer oder gar nicht beantworten lässt.

Licht wird überschätzt

Viele blinde Menschen können aber noch Licht wahrnehmen. Sie kennen den Unterschied zwischen hell und dunkel und können manchmal sogar noch Farben unterscheiden. So ist das zum Beispiel bei mir, und es gibt noch viele weitere Abstufungen zwischen sehend, sehbehindert und blind.

Alle Sehenden die ich kenne haben aber eines gemeinsam: Betreten sie einen dunklen Raum, werden sie automatisch unsicherer – und schreckhafter. Im folgenden Hörstück erzähle ich eine wahre Geschichte aus meinem Arbeitsalltag. Der Beitrag gibt auch einen Eindruck davon, welche Bedeutung Licht für mich hat.

Ich brauche kein Licht, um mich irgendwo zurechtzufinden. Trotzdem mag ich es lieber, wenn es hell ist. Als Kind hatte Dunkelheit für mich eher etwas aufregend spannendes, geheimnisvolles. Vielleicht weil ich damals schon gerne Gruselgeschichten mochte.

Trotzdem: Viele Orte und Situationen, die mit Dunkelheit zusammenhängen, empfinde ich auch als unangenehm oder sogar bedrohlich. Ein dunkles Gewölbe oder eine schlecht ausgeleuchtete Unterführung; spät nachts auf einer einsamen Straße; ein Unwetter, bei dem der Himmel mitten am Tag rabenschwarz wird. Alles nicht eben gemütlich.

Aber: Liegt das wirklich an der Dunkelheit?

  • Bei der stockdunklen Unterführung ist es die beklemmend hallige Akkustik und der Geruch nach Schmutz, der vielleicht in der Luft liegt.

  • Die Straße wirkt so anders, mitten in der Nacht. So still und verlassen. Ich kann jeden meiner Schritte deutlich hören – und plötzlich noch andere, fremde Schritte hinter mir.

  • Beim Unwetter ist es der ohrenbetäubende Donner und die Spannung, unter der die ganze Luft zu stehen scheint. Da ich noch Licht wahrnehme kann ich außerdem jeden Blitz erkennen – etwas worauf ich ehrlich gesagt gerne verzichten würde.

All das hat im Grunde nicht direkt etwas mit Dunkelheit zu tun. Die meisten Menschen haben ja auch nicht Angst vor der Dunkelheit selbst, sondern sie fürchten sich vor dem, was in ihr verborgen ist – das unbekannte Etwas, das in den Schatten lauert.

Eine meiner Lieblings-Gruselgeschichten stammt von H.P. Lovecraft und hat den etwas sperrigen Titel „der leuchtende Trapezoeder“. Die Erzählung hat die älteste Grundidee der Welt: Es geht um ein altes, unsagbar grausames Wesen, das nur durch helles Licht vertrieben werden kann. In der Dunkelheit verbreitet es aber ungehindert Schrecken und Wahnsinn.

Ich habe schon so manchen Horrorschmöker verschlungen, bevölkert von den blutrünstigsten Kreaturen. Aber – und das ist das komische – diese eine Geschichte jagt mir auch nach wiederholtem Lesen eine Höllenangst ein. Ob blind oder nicht: Bei dieser Story lasse ich doch lieber das Licht an – vorsichtshalber.

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