Goster, am Dienstagabend im Ersten zu sehen, ist eine mutige Kreuzung zwischen Krimi, Film Noir und Graphic Novel. Eigentlich zu schräg für meinen Geschmack. Warum ich ihn mir trotzdem ansehe und was es für einen Blinden heißt, wenn ein Film von seinen Bildern lebt.
Wäre dieser Film ein Hörspiel, ich würde es nicht empfehlen. Schusswaffen, die von alleine losballern. Tatort-Fotos in Comicoptik. Ein Polizist, der volltrunken in den Himmel schießt – danach blutet der Mond aus einer roten Wunde. Nein, so etwas schräges, abgedrehtes wie der Psychothriller „Goster“, heute Abend im Ersten zu sehen, hätte in meinen Radio-HörLights nichts verloren.
Schaue ich mir Goster trotzdem an? Aber klar doch!
Bei Filmen bin ich offener
Ich bin ein großer Fan der HR-Tatorte mit Ulrich Tukur, die ihre Preise bestimmt nicht für ihre schlüssige Handlung oder geradlinige Erzählweise kassiert haben. Ich habe die Serie „Lost“ geliebt, die aus einem tausendmal erzählten Szenario – gestrandet auf der einsamen Insel – etwas völlig neuartiges macht. Erzählt in Rück, Vor- und Seitwärtsblenden, Zeitsprüngen und Episoden, die zur Hälfte in Koreanisch gehalten sind. Nichts was man gedankenlos nebenher knabbert wie Kartoffelchips. Ob ich mir etwas vergleichbares im Radio antun würde? Wahrscheinlich nicht. Da bevorzuge ich solide, geradlinige Geschichten.
Warum bin ich bei Filmen so viel offener für unkonventionelle Formen? Vielleicht aus Dankbarkeit, dass ich inzwischen einiges davon barrierefrei erleben darf. Dem klassischen Vorabendkrimi kann man mit etwas Glück und Phantasie auch ganz gut folgen, wenn man keinen Sehenden zur Seite hat, der einem die Filmhandlung erklärt – oder wenn wie so oft kein Hörfilm angeboten wird, keine Filmbeschreibung für Blinde. Auch wenn ich manche visuellen Details nicht mitbekomme, verpasse ich deswegen nichts. Sie sind für die Handlung meist eher unerheblich. Wobei es natürlich trotzdem viel schöner ist, wenn ich mir auch ein Bild vom Aussehen und der Kleidung der auftretenden Figuren machen kann.
Die Bilder sind das Wesentliche
Bei einem Film wie Goster reicht das nicht. Hier ist die Sprache der Bilder das Wesentliche. Die Art, wie eigentlich gewöhnliche Dinge auf neue, ungewöhnliche Art gezeigt werden. Verfremdend wie die Comic-Fotos; schockierend, den Rahmen der Realität sprengend wie der blutende Mond. Ohne all diese Details wahrzunehmen macht es für mich keinen Sinn, einen solchen Film anzuschauen.
Goster spielt mit Elementen des Film Noir, ist aufgebaut wie eine Graphic Novel. Sehende haben zu diesen Begriffen schnell Bilder im Kopf, eine bestimmte Anmutung oder Ästhetik. Auch ich weiß, was eine Graphic Novel ausmacht oder was die Merkmale des Film Noir sind. Auch wenn es sich um visuell geprägte Medien handelt, ich interessiere mich dafür. Ich weiß, dass diese Formen viele Möglichkeiten eröffnen, Geschichten zu erzählen. Und auch als Blinder möchte ich zumindest zu erspüren versuchen, was Sehende an diesen Spielarten reizt. Kurz gesagt: Auch ich will den Mond bluten sehen.
Hörfilm erschließt die Sprache der Bilder
Heute Abend wird Goster als Hörfilm ausgestrahlt. Per Zweikanal-Ton können sich blinde Zuschauer akkustische Erklärungen dazuschalten. Alles was man nicht hört, sondern nur sieht, wird in den Dialogpausen für Blinde erklärt – eine gut hergestellte Audiobeschreibung kann das leisten. Auf diese Weise können auch blinde TV-Fans Filme erleben, die ihre Besonderheit hauptsächlich aus ihren Bildern heraus entfalten. Zumindest wird eine Annäherung möglich, und das ist schon sehr viel. Auf keinen Fall ist ein solcher Zugang selbstverständlich, im Gegensatz zu einem Hörspiel im Radio, dass ich immer völlig ohne Abstriche bei der Detailfülle erleben kann.
Goster, der Titelheld und Mondbeschießer des gleichnamigen Films, hat übrigens graumelierte Haare, trägt ein weißes Hemd mit Sakko und eine dunkle Hose Marke Sherlock Holmes. Woher ich das weiß? Ausnahmsweise nicht aus dem Hörfilm. Goster wurde teilweise im Frankfurter Maintower gedreht und ich wurde als Reporter in Ausbildung hingeschickt, um für den HR über den Dreh zu berichten. Ein Blinder beim Filmdreh – ich war ziemlich stolz, dass man mir diesen Auftrag zutraute. Natürlich gab es auch dort viel mehr zu sehen als zu hören. Aber dafür hatte ich meinen Assistenten mit Fotografenblick, der mir jedes Detail beschrieb, was mir sonst entgangen wäre. Ein Hörfilm im richtigen Leben sozusagen.