Erfolgreich wiederbelebt: „Hades“, ein Thriller von Candice Fox

Düster wie Dexter und rasant wie Stieg Larsson – indem sie altbekannte Zutaten völlig neu abmischt, mischt die Australierin Candice Fox das gesamte Thriller-Genre auf.

Auch Candice Fox genoss es als kleines Mädchen, wenn ihr Vater ihr vor dem einschlafen noch eine Geschichte erzählte. Doch die Geschichten, die Candices Daddy von seiner Arbeit mitbrachte, waren keine Gutenachtgeschichten für Kinder. In ihnen ging es um Mord, Übergriffe und Missbrauch. Ihr Vater arbeitete als Bewährungshelfer im Gefängnis. Auch die vielen Pflegekinder, um die sich die Mutter kümmerte, erzählten selten fröhliche Geschichten. Als Candice Fox später ihren ersten Bestseller landet, fängt der – wen wunderts – mit folgendem Satz an:

Als der Fremde das Bündel auf den klebrigen Küchenboden legte, wusste Hades sofort, dass es eine Kinderleiche war.

Ein Satz der schnell klar macht, was auf den Leser zukommt: Blut, Schmutz und Tränen, aber auf hohem erzählerischen Niveau.

Hades wird’s schon richten

Besagte Kinderleichen, denn eigentlich sind es zwei, werden von einem kleinen Ganoven angeschleppt. Ein Raubüberfall lief aus dem Ruder, die Eltern sind tot und die Kinder offenbar auch.

Aber halb so schlimm. Hades, der König der Unterwelt von Sydney, wird alles schon wieder ins reine bringen. Hades lebt auf einer gigantischen Müllhalde am Stadtrand, wo er auch schon mal Menschen entsorgt. Hades wird’s schon richten, und das tut er auch – allerdings richtet er erstmal den Kindsmörder, dessen Blut bald den Küchenboden noch klebriger macht.

Als sich Hades um die vermeintlichen Kinderleichen kümmern will, stellt er fest: Die Kinder leben noch! Hades wird die beiden Geschwister großziehen. Beide, sowohl der Junge als auch das Mädchen, werden Narben zurückbehalten. Innere, und im Fall des Mädchens eine äußere, gut sichtbare Narbe mitten auf der Stirn.

Jahre später wird Frank Bennett, ein durch Drogenmissbrauch und häusliche Gewalt fast schon suspendierter Polizist einem neuen Ermittlerteam zugeteilt. Seine neue Partnerin Eden Archer gibt gleich zu erkennen, dass sie an ihm als Mann kein Stückweit interessiert ist. Dabei findet Frank seine neue Partnerin doch so attraktiv – trotz der langen Narbe, die sich über ihre Stirn zieht …

Thriller aus Altmetall

Auf seinem Schrottplatz hat Hades aus Müll und Maschinenteilen Tierskulpturen gebaut: „eine in die Form eines brüllenden Löwen gehämmerte und gebogene Waschmaschinentrommel, Fahrräder, die zusammengeschweißt und zu einem Flamingo mit langem Hals zerdehnt worden waren. Im Mondlicht wirkten die Tiere mit den Federn aus Küchenutensilien und den Augen aus Glasflaschen lebendig und bereit zum Sprung.“

Genau wie diese Müll-Chimären sind auch die Thriller um Eden Archer konstruiert. Sie setzen sich aus vertrauten Elementen des Serienkiller-Genres zusammen, die Candice Fox aber völlig neu kombiniert. Inzwischen gibt es ja nichts was so ausgelutscht ist wie ein Thriller mit obligatorischem Psychopath.Der geniale, leicht authistische Profiler und die hübsche Polizistin, die am Ende selbst ins Fadenkreuz des Killers gerät – alles schon tausendfach gelesen.

Versteht mich nicht falsch, ich mag Stories rund um Serienkiller mit abgründiger Psyche. Das ist eine Formel, die immer noch wirkt. Aber irgendwann braucht jedes Muster einen neuen Impuls: Einen Dreh, den sich in dieser Form noch keiner getraut hat. Oder einen Erzähler, der die Regeln des Genres ganz bewusst bricht. Das kann aber nur jemand erfolgreich tun, der genau diese Regeln meisterhaft beherrscht.

Candice Fox beherrscht die Spielregeln. Sie hat den besten Lehrmeister in diesem Fach gehabt: Ihren ersten Roman, noch vor der Eden-Archer-Trilogie, hat sie gemeinsam mit James Patterson geschrieben – dem amerikanischen Fliesbandautor, der praktisch im Alleingang das Serienkiller-Genre totgeritten hat. Vielleicht mit ein Grund, weshalb die junge Autorin aus Australien danach alle Klischees des Genres geremixt und komplett über den Haufen geschmissen hat?

Killer-Cops mit Doppelleben

Bald wird klar: Eden Archer ist das Mädchen, dass eigentlich auf Hades‘ Mülldeponie hätte enden sollen. Jetzt ist aus ihr eine Top-Polizistin geworden. Tagsüber jagt sie Verbrecher, nachts bringt sie all diejenigen zur Strecke, die sie mit polizeilichen Mitteln nicht belangen kann – Präzise, brutal und unbarmherzig.

Polizisten mit einem Doppelleben als nächtliche Killer und Rächer – das erinnert an Dexter, den Gerichtsmediziner, der zugleich als psychopathischer Serienkiller Kriminelle umbringt. Im ersten Roman „Hades“ bekommen es Eden und Frank mit einem Kindermörder zu tun, der seine Opfer im Hafenbecken von Sydney versenkt – verpackt in Werkzeugkisten. Auch das ist eine Homage an die Dexter-Romane von Jeff Lindsay. Candice Fox schickt ihre Figur Eden aber in eine ganz andere Richtung.

Außerdem ist da noch ihr Partner Frank, der Edens Geheimnis ahnt und ihre nächtlichen Streifzüge zu decken beginnt. Der Psychothriller ist gleichzeitig auch ein hartgesottener Cop-Krimi nach amerikanischem Vorbild – soll heißen, auch das wird kräftig gegen den Strich gebürstet.

Lisbeth Salander, australisch wild

Eden und Frank sind keine treuen, verlässlichen Partner. Sie sind aufeinander angewiesen und einander ausgeliefert. Auch sie haben ihre eigenen Dämonen und schauen in psychische Abgründe, die einen Dr. Hannibal Lecter aus „Schweigen der Lämmer“ verblassen lassen.

Ich weiß nicht ob es beabsichtigt war, aber mich hat „Hades“ beim lesen außer an Thomas Harris auch an einige skandinavische Krimis erinnert. Nicht unbedingt an Henning Mankells Wallander, eher schon an die rasanten Thriller von Stieg Larsson. Zur kalten Kompromisslosigkeit von Lisbeth Salander gesellt sich bei Candice Fox aber noch die raue Wildheit Australiens.

Hades, Eden, Fall

Die Geschichte um Eden Archer ist als Trilogie angelegt. Alle drei Teile sind schon auf deutsch erschienen. Schon die Titel versprechen ganz großes Kino. Teil 1 heißt „Hades“, nach der düsteren Unterwelt der alten Griechen, wo die Toten wohnen. Band 2 trägt den Titel „Eden“ und führt die mordende Ermittlerin statt ins Paradies auf eine verlassene Farm und in die Fänge einer Kommune aus Mördern und Vergewaltigern. Auf den Garten Eden folgt nach kurzer Zeit der Fall, und „Fall“ heißt auch der dritte und letzte Teil der Trilogie. Hier hat es jemand auf junge Joggerinnen abgesehen.

Alle drei Romane sind als Ebook erschienen. Als kommerzielles Hörbuch sind sie momentan noch nicht zu haben – kommt aber mit Sicherheit noch. Blinde Leser sind gerade noch im Vorteil: Die ersten beiden Teile sind bei den Blindenhörbüchereien als Daisy-Hörbücher ausleihbar – auf CD oder zum herunterladen. Andreas Ladwig trifft beim lesen die passende Grabesstimme, ohne dabei aufgesetzt rüberzukommen. Er liest zurückgenommen, seine sparsame Betonung tut dem Roman und seiner glänzend komponierten Sprache aber gut.

In den Eden-Archer-Romanen häufen sich schnell die Leichen. Die meisten davon werden nicht wieder lebendig. Doch für das Thriller-Genre hat Candice Fox etwas geschafft, was nur selten klappt: Eine Wiederbelebung.

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