Blattkritik: Die Süddeutsche Zeitung (SZ)

Die Süddeutsche Zeitung, kurz SZ, ist die Zeitung meiner Wahl. Mit ihren tollen Reportagen und einem umfangreichen Kulturteil ist sie genau das richtige Blatt für mich. Selbst Hörspielfans kommen bei der SZ voll auf ihre Kosten. Wie man als Blinder die SZ komfortabel lesen kann und was es kostet, lest ihr in dieser Blattkritik.

1945, irgendwann kurz nach dem Krieg, in einer Münchner Druckerei. Ein amerikanischer Soldat wirft einen Bleisatz ins Feuer. Noch vor kurzem wurde aus diesen Bleiplatten in großer Stückzahl Hitlers Biografie „mein Kampf“ gedruckt. Im Feuer schmilzt das Blei zu einer flüssigen Masse, aus der später neue Platten gegossen werden: Die Druckplatten für die erste Ausgabe der Süddeutschen Zeitung.

Leitmedium Nummer eins

Die erste Ausgabe der SZ erschien am 6. Oktober 1945, einem Samstag. Heute gilt die Süddeutsche Zeitung als die einflussreichste überregionale deutsche Tageszeitung. Viele Journalisten bezeichnen sie inzwischen als Leitmedium Nummer eins, noch vor dem Spiegel.

Aber auch für mich hat die SZ eine herausragende Bedeutung. Sie war die erste Tageszeitung, die ich digital abonniert habe. Mit ihr wollte ich ausprobieren, ob es sich vielleicht doch lohnt, täglich auch etwas jenseits der kostenlosen Schlagzeilen von Spiegel Online und Google NEWS zu konsumieren. Ein Versuch, der sich für mich mehr als gelohnt hat.

Was bietet die SZ?

Schon der Stil, in dem die meisten Beiträge in der SZ geschrieben sind, traf genau meinen Geschmack. Der Ton wirkte auf mich seriös, aber nicht abgehoben; informativ und trotzdem verständlich, aber schon für Leute geschrieben, denen das mitdenken beim lesen nicht gleich Kopfschmerzen macht.

Geködert, und zwar bis heute, hat mich dann das Aushängeschild der SZ, die „SEITE DREI“. Hier erscheint täglich mindestens eine große Reportage, der auf der dritten Seite ganz viel prominenter Platz eingeräumt wird. Ich bin ein großer Fan von Geschichten. Mitreißend erzählt müssen sie sein, und wenn die Geschichten auch noch wahr sind, dann umso besser.

Mut zur langen Form

Genau das bietet die SZ auf Seite 3. Weltgeschehen zum anfassen. Keine trockenen, bedeutungsschweren Artikel, sondern packende Reportagen, aufwändig recherchiert und hart am Puls der Zeit.

Nicht nur im Radio werden die Beiträge immer kürzer. Auch Zeitungslesern traut man eine immer geringere Aufmerksamkeitsspanne zu. Im Gegensatz dazu leistet sich die SZ als eine der ganz wenigen Zeitungen noch Platz für die lange Form und gibt ihr so viel Raum wie die Geschichte braucht, um richtig erzählt zu werden und dabei auch in die Tiefe gehen zu können.

SZ Medien: Auch was für Hörspiel-Fans

Ansonsten legt die Süddeutsche Zeitung ein starkes Gewicht auf die Kultur. Sie bietet ein ausführliches Feuilleton mit Beiträgen aus Literatur, Kunst, Musik und Gesellschaft. Auch das Ressort „Medien“ ist immer ein Hingucker. Besonders Hörfutter-Leser kommen hier auf ihre Kosten, denn regelmäßig finden sich auch Berichte über neue Hörspiele und Podcasts.

Aber auch die politischen Themen kommen nicht zu kurz. Die Ausrichtung der SZ wird meist als linksliberal eingeordnet. Das trifft es wie ich finde sehr gut. Auf jeden Fall ist sie Meinungsstark – in ihrem Ressort „Meinung“ mit fundierten Kommentaren, aber auch im täglichen Leitartikel zum Thema des Tages.

Streiflicht: Das HörLight der SZ

Und dann wäre da noch das berühmte Streiflicht. Das ist eine Kolumne, die täglich auf der Titelseite erscheint. Die meist launische Glosse will ein „Leuchtturm im Sturmgebraus der täglichen Hiobsbotschaften“ sein. Die Autoren des Streiflichts sind immer anonym. Trotzdem sind schon einige bekannt – der prominenteste Streiflicht-Autor ist wohl Axel Hacke.

Das richtig geniale am Streiflicht ist aber: Es ist nicht nur ein Highlight, sondern auch ein HörLight. Denn für die digitale Ausgabe der SZ wird es jeden Tag vertont. Mit einem SZ-Abo kann man sich das Streiflicht dann ganz bequem vorlesen lassen. So kriegt man jeden Tag einen humorvollen Impuls auf die Ohren. Mal bissig, mal nachdenklich, aber immer mit viel mehr Substanz als die tägliche Radiocomedy – und dabei oft viel kürzer.

Was kostet der Spaß?

Das digitale Abo der Süddeutschen nennt sich SZ Plus. Das Basisangebot kostet die ersten zwei Monate 19,99 €. Aber achtung: Das ist ein Vorteilspreis, der nur einmalig für Neukunden gilt. Nach Ablauf der zwei Monate erhöht sich der monatliche Abopreis auf 34,99 €. Studenten erhalten das Abo um 50 Prozent reduziert, in weiteren Abopaketen bekommt man zusätzlich ein Tablet, einen E-Reader oder die gedruckte SZ dazu. Die Abos sind alle mit einer Frist von vier Wochen kündbar.

Fast 35 Euro im Monat – das ist erstmal ein stolzer Preis. Aber man kriegt auch einiges dafür geboten:

  • An sechs Tagen in der Woche die aktuelle Ausgabe der Süddeutschen Zeitung
  • Zusätzlich das SZ Magazin und „Sport am Wochenende“
  • Freischaltung aller zahlungspflichtigen Artikel auf der SZ-Internetseite
  • Zugriff auf alle Ausgaben der letzten sieben Tage
  • die SZ-App fürs Smartphone (siehe unten).

Wie liest man am besten?

Sowohl die Zeitung als auch das Magazin lassen sich komfortabel im Internetbrowser lesen. Auf zeitung.sz.de meldet ihr euch mit eurer E-Mailadresse und Passwort an – Voraussetzung ist natürlich ein freigeschaltetes Abo. Digitale Leser haben sogar den Vorteil, dass die Ausgabe für den nächsten Tag in der Regel schon am Vorabend verfügbar ist – etwa ab 19 Uhr.

Wie muss eine digitale Zeitung präsentiert werden, damit man sich als Blinder gut zurechtfindet? Hier gilt eigentlich das gleiche wie für jede andere Webseite: Die Links sollten sinnvoll beschriftet sein und nicht nur aus Grafiken ohne Alternativtext bestehen. Die Seite sollte durch Strukturelemente wie Überschriften übersichtlich gegliedert werden. Das ist besonders wichtig, weil blinde Internetnutzer diese Elemente ganz leicht per Tastendruck anspringen und somit schnell navigieren können. In einer Zeitung, die sich ja generell stark durch Ressort- und Artikelüberschriften gliedert, ist das natürlich ganz besonders wichtig.

Wenn ihr den Screenreader JAWS verwendet, könnt ihr euch mit Hilfe weniger Navigationstasten ganz schnell zurechtfinden:

Wahl der Ausgabe

  • Drückt die Taste B, um zum nächsten Schalter zu springen.

  • Ihr landet auf einem Schalter, der mit dem Datum der aktuellen Ausgabe beschriftet ist. Das ist die Ausgabe der SZ, die gerade aufgeschlagen ist.

  • Aktiviert ihr diesen Schalter mit der Leertaste, klappt das Archiv auf. Über weitere Schalter könnt ihr jetzt die Ausgaben der letzten sieben Tage aufblättern.

Blättern und lesen

  • In einer Ausgabe navigiert ihr am besten mit der Taste H. Damit springt ihr zur jeweils nächsten Überschrift.

  • Eine Zeitungsausgabe ist in mehrere Ressorts unterteilt. Die Links zu den einzelnen Ressorts befinden sich gleich unter dem Schalter zur Wahl der Ausgabe.Zu Anfang ist die Titelseite geöffnet.

  • Öffnet ihr ein Ressort (z.B. Außenpolitik, Feuilleton, Wissen Etc.), dann klappen direkt darunter die Links zu den einzelnen Artikeln auf.

  • Diese Links sind als Überschriften gekennzeichnet. Ihr könnt jeden Artikel also bequem mit der Taste H anspringen und mit Enter auswählen.

  • Danach drückt ihr so lange die Taste H, bis ihr erneut die Artikelüberschrift hört. Ab jetzt folgt der Artikel im Fließtext, den ihr ganz normal mit den Pfeiltasten durchlesen könnt.

  • Vor einigen Artikeln befinden sich noch Infos zum jeweiligen Autor. Dort gibt es auch die Möglichkeit, den Autor direkt zu kontaktieren.

App nicht zu empfehlen – trotz Barrierefreiheit

Die SZ gibt es zusätzlich auch als E-Paper und in einem Format für E-Bookgeräte. Zu beiden Angeboten kann ich nichts sagen, da ich sie noch nicht getestet habe. E-Paper sind erfahrungsgemäß für Blinde eher schlecht nutzbar, da es sich hier um PDF-Dateien handelt, die der gedruckten Ausgabe nachempfunden sind. E-Bookformate sind da schon zugänglicher. Vor allem wenn es sich um das Epub-Format handelt, ergeben sich für uns einige Möglichkeiten – hierzu gebe ich in meiner nächsten Blattkritik ein paar Tipps.

Eine schwere Enttäuschung ist aber – so leid es mir tut – die Zeitungs-App der SZ. In dieser App kann man sich die Ausgaben der Süddeutschen auf sein Smartphone laden. Unterwegs die SZ lesen, in der Bahn virtuell in der Zeitung blättern – für mich eine schöne Vorstellung, aber bitte nicht so!

Zwar ist die App auf dem Iphone im Prinzip bedienbar. Will heißen, Voiceover, die ins Iphone eingebaute Sprachausgabe, liest die meisten Elemente in der App vor. Trotzdem ist die SZ-App weit entfernt davon, barrierefrei zu sein. Denn die Inhalte stellen sich für Blinde vollkommen unstrukturiert dar – schlimmer noch als Kraut und Rüben.

Die aktuelle Zeitung zu laden klappte gerade noch so. Aber mich in der Ausgabe auch nur ansatzweise zurechtzufinden funktionierte gar nicht. Die Ressorts scheinen willkürlich angeordnet, einige tauchen erst gar nicht auf, gelegentlich springt der Fokus auch einfach wild durch die Gegend. Für Sehende: Stellt euch eine Zeitung vor, in der die Seiten wild durcheinandergeflogen sind, teilweise ganz fehlen oder noch zusammengeklebt sind. Dann habt ihr einen ungefähren Eindruck davon wie es für Blinde ist, mit der SZ-App die Süddeutsche zu lesen bzw. daran zu scheitern.

Vor einiger Zeit habe ich deswegen schon eine Mail an den SZ-Support geschrieben, in der ich sachlich auf gewisse Probleme bei der Barrierefreiheit hingewiesen habe. Man antwortete mir ziemlich verschnupft und fragte mich sinngemäß, was ich denn wolle – die App sei doch barrierefrei. Ja, man habe sie sogar auf Barrierefreiheit testen lassen. Das will ich auch nicht anzweifeln, aber ich frage mich dann doch, was für einen Testleser man dafür gewählt hatte – vielleicht jemanden dem es Spaß macht, sich eine zerfledderte Zeitung aus Schnipseln wieder zusammenzusetzen?

Für Barrierefreiheit reicht es eben nicht, dass alles vorgelesen wird. Es muss sich für uns auch ebenso intuitiv erschließen wie für Sehende. Auch für uns muss das lesen komfortabel sein, es muss sinnvolle Navigationsmöglichkeiten und einen durchschaubaren Aufbau geben. Ansonsten handelt es sich leider um nichts weiter als um Alibi-Barrierefreiheit.

Wer die Süddeutsche Zeitung trotzdem lieber auf dem Smartphone lesen will, kann statt der App aber auch einfach die oben verlinkte Internetseite aufrufen. Die mobile Seite der SZ ist z.B. mit Safari auf dem Iphone ähnlich intuitiv zu bedienen wie am PC. Eine Zeitung unterwegs in der Bahn oder bequem im Liegestuhl mit dem Handy durchzublättern ist einfach nochmal was anderes und viel schöner, als sie steif am Rechner sitzend zu lesen.

Fazit

Knapp 35 € werden für einige wohl eher eine Preisbarriere sein – noch dazu wenn Blinde bis auf weiteres mit der mobilen App nicht viel anfangen können. Mir persönlich ist die SZ ihren Preis wert. Da ich ohnehin meistens am PC Zeitung lese, empfinde ich die digitale SZ als ein sehr angenehmes Lektüreerlebnis. Für mich ist die Süddeutsche aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die SZ ist „meine Zeitung“, aufgrund ihres Stils, ihrer Inhalte, aber auch aufgrund ihrer wirklich tollen Zugänglichkeit als digitale Zeitung im Web.

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