Digital aufgeblättert: Wie Blinde Zeitung lesen

Kann man als Blinder überhaupt Zeitung lesen? „Na klar“ sagt Toto, seit Jahren begeisterter Zeitungsfan. Onlineausgaben und Digital-Abos machen’s möglich – auch wenn es für die entspannte Zeitungslektüre manchmal noch ein paar Tricks braucht. Aber dafür gibt es ja unsere „Blattkritik“. Hier erfahrt ihr, wie ihr die bekanntesten Zeitungen einfach und barrierefrei genießen könnt.

Was bleibt eigentlich von einer Zeitung übrig, wenn man sie nicht sieht? Vor allem ihr rascheln und ihr Geruch. Der Duft von Druckerschwärze liegt für mich irgendwo zwischen frischen Brötchen und Kaffeebohnen – freundlich, eine Spur spießig und sehr erwachsen. Wenn meine Eltern Samstagmorgens frühstückten, raschelte die Bildzeitung mit der Brötchentüte um die Wette.

Auf meinem eigenen Frühstückstisch lag noch nie eine Zeitung. Eine gedruckte Zeitung ist für Blinde praktisch nicht lesbar. Es gibt Scanprogramme, mit denen wir leicht Bücher und andere gedruckte Medien lesen können. Bei einer Zeitung funktioniert das aber längst nicht so einfach wie bei einem Roman oder einem Brief.

Zu bunt, zu groß

Schuld daran ist vor allem das mehrspaltige Layout. Damit kann die Texterkennung nur schwer umgehen. Auch die häufig wechselnden Schriften und die eingestreuten Bilder sorgen dafür, dass bei uns am Ende statt Zeitungstext nur Kauderwelsch ankommt. Das im wahrsten Sinne des Wortes größte Hindernis ist aber das Format: In der Regel passt eine typische Zeitungsseite gar nicht auf einen handelsüblichen Scanner, der für A4-Format vorgesehen ist.

Ich will nicht sagen, es ist unmöglich für blinde Menschen, gedruckte Zeitungen zu lesen. Es ist nur extrem langwierig, umständlich und macht keinen Spaß. Ich habe viele medieninteressierte blinde Freunde, aber nicht einer von ihnen liest eine Papierzeitung.

Warum Zeitung? Gibt doch Spiegel Online

Macht ja auch nichts, werden jetzt einige sagen. Nachrichten kann man doch auch genausogut online lesen – über Spiegel Online oder über eine News-App auf dem Smartphone. Mit solchen Diensten ist man ja auch viel aktueller informiert. Da ploppen in Echtzeit die heißesten News auf – sogar mitten in der Nacht.

Eine Zeitung dagegen erscheint nur einmal am Tag. Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern, richtig? Außerdem: Die meisten digitalen News-Quellen sind auch noch kostenlos. Eine Zeitung kostet Geld, egal ob man sie einzeln am Kiosk kauft oder im Abo.

Schon alles richtig. Aber irgendwie auch nicht. Denn: Spiegel Online durchzubrowsen kann man bei aller Liebe nicht mit Zeitungslesen vergleichen. Ich kenne Menschen, die das allen Ernstes tun.

Zeitung nimmt sich Zeit

Von einer Zeitung will ich nicht nur informiert werden, sondern auch überrascht und unterhalten. Eine Zeitung ist keine Update-Spritze, sondern eine Komposition, auf die man sich einlässt; ein Spaziergang, der einfach seine Zeit braucht und der jeden Tag woanders hinführt.

Der tägliche Newsfeed verliert keine Zeit und soll uns auch möglichst keine Zeit kosten. Die Zeitung nimmt sich Zeit und schenkt uns Zeit. Sie kann reflektieren, überlegen und darf dabei auch gerne mal von den Ereignissen überholt werden. Eine Zeitung kann ein Stück Heimat sein, schreibt Michael Angele in seinem Essay „der letzte Zeitungsleser“. Oder sie ist das Gegenteil, wenn sie den Blick weitet.

Ich kann das sagen, weil ich seit Jahren ein überzeugter Zeitungsleser bin. Ich habe eine Tages- und eine Wochenzeitung abonniert, und zumindest die Tageszeitung blättere ich fast jeden Morgen auch durch – mal mehr, mal weniger aufmerksam. Meine Zeitungen beziehe ich nicht gedruckt, sondern digital.

Zeitungssterben: Krise der Printmedien ist Chance für Blinde

Mittlerweile bieten praktisch alle großen Zeitungen digitale Ausgaben an: Als E-Paper, also als der gedruckten Ausgabe nachempfundenes PDF oder Ebook, als App fürs Smartphone oder über eine Webseite. Als ich langsam anfing, mich für Printmedien zu interessieren, waren die Internetauftritte von FAZ, Süddeutsche & Co im Grunde nur digitale Schaufenster. Ein liebloses Nebenprodukt. Die wirklich tollen Inhalte gab es nach wie vor nur auf Papier.

Das kann sich inzwischen aber kaum ein Blatt mehr leisten. Schuld daran ist das vielbeschworene Zeitungssterben: Die traditionelle analoge Zeitung zum anfassen verschwindet, nur noch digitale Medien haben eine Chance. Dem gibt die Realität ja auch recht. Viele Zeitungen bieten in ihren digitalen Ausgaben mittlerweile deutlich mehr Inhalt als im gedruckten Blatt, und bei der Welt ist die digitale Ausgabe längst zum Hauptprodukt geworden, anstatt zum Neben- oder Abfallprodukt.

Das böse Internet macht die Zeitungskultur kaputt – ist das wirklich so einfach? Keineswegs, denn dieser Umschwung hat für blinde Menschen wie mich das Zeitungslesen überhaupt erst ermöglicht. Ich möchte behauptn, die Krise der Printmedien, das Zeitungssterben, hat Blinden die Welt der Zeitungen eröffnet – gerade durch den Zwang zum Digitalen. „Sei Online oder stirb!“

Plötzlich ist eine digitale Version vorhanden, gleichwertig oder sogar umfangreicher als das gedruckte Blatt und trotzdem noch eine Zeitung und kein reiner Nachrichtenkanal. Diese Zeitung riecht und raschelt nicht, aber sie kann für Blinde zugänglich sein, ohne dass es für die Leser viel Mehraufwand bedeutet. Digitale Texte können sich Blinde viel leichter und direkter zugänglich machen als reine Printmedien.

Natürlich nur, wenn auch an die Barrierefreiheit gedacht wurde. Eine Zeitung soll vor allem das sehende, lesende Auge ansprechen. Daher stellt sie auch digital eine große Herausforderung für Barrierefreiheit dar. Trotzdem lässt sie sich umsetzen, und bei so mancher großen und bekannten Zeitung war ich überrascht, wie angenehm und barrierefrei sich mein Leseerlebnis schon jetzt gestaltet.

Manchmal ist das reiner Zufall, und manchmal merkt man, dass da wirklich jemand an die Bedürfnisse blinder Leser gedacht hat. Einige Zeitungen lassen sich digital ganz einfach nutzen, bei anderen muss ich erst „Tricks“ anwenden. Tja, und dann gibt es noch diejenigen Blätter, die auch als digitales Medium für uns völlig unzugänglich bleiben, weil hier wieder mal nur an eine knallig schöne Optik gedacht wurde und nicht an eine barrierefreie Nutzerfreundlichkeit.

Blattkritik: Welche Zeitungen lassen sich blind lesen – und welche nicht?

In den nächsten Wochen werde ich an dieser Stelle die Zeitungen vorstellen, die ich bisher getestet habe. Ich gebe Tipps, wie sich jede Zeitung meiner Erfahrung nach am besten lesen lässt und verrate dabei Tricks, die sich für mich als praktikabel erwiesen haben.

In einer digitalen Zeitung muss ich mich effektiv orientieren können, also bescheid wissen was es alles gibt und schnell das finden, was ich suche. Außerdem muss sich das lesen selbst für mich gemütlich und entspannend anfühlen. Zwei Kriterien, die viele digitale Zeitungen für mich einlösen können – auch wenn man ihnen dazu manchmal etwas auf die Sprünge helfen muss.

Genauso will ich aber auch Appetit aufs Zeitungslesen machen. Jede Zeitung die ich hier vorstelle kostet Geld, ihr bekommt sie meist im digitalen Abo, dass ihr in der Regel auch erstmal gratis testen könnt. In meiner Blattkritik erfahrt ihr schon vorher, was euch die verschiedenen Zeitungen bieten können und was jede davon so speziell und einzigartig macht. Ist die „Zeit“ nur was für Professoren? Und habe ich auch was von der „Süddeutschen“, wenn ich in Norddeutschland wohne?

Ich beobachte, dass digitale Zeitungen für Blinde trotz all ihrer Vorzüge ein relativ neues Phänomen sind. Aber sie können auf jeden Fall eine spannende Alternative sein zur Zeitschrift vom Blindenverband. Ich würde hier gerne etwas Mut zum ausprobieren machen – und zur eigenen Zeitungslektüre.

2 Gedanken zu „Digital aufgeblättert: Wie Blinde Zeitung lesen“

  1. Wäre es nicht für Blinde viel besser alles mit Sprache zu steuern? Bei der Ztg zB Politik dann Ansage Artikel und mit ok vorlesen lassen. BLINDE DIE zB mit 60 Jahren in 3 Tagen blind geworden sind haben riesen Probleme Tasten usw zu bedienen.

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